Samstag, April 20, 2024

Die Gedanken machen blau

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Die Gedanken machen blau

Wie sagte der römische Kaiser Marcus Aurelius einst:
„Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab“.

Warum nicht einfach beim nächsten Date mit der Gedankenkraft spielen?! Gedacht, getan.
Das erste Mal setzt einen allerdings unter Druck. Niemand will mangels unzureichender Versuchsreihen wie ein Depp dastehen. Zu „Niemand“ gehöre auch ich. Also Risikominimierung. Schließlich will ich beeindrucken, und nicht mit meiner Idee ins Wasser fallen. Bin sowieso schon ständig unter der Oberfläche.

Also suche ich das Lokal auf, in dem ich verabredet bin, um der Magie des ersten Mals auf die Sprünge zu helfen. Die Kellnerin als meine künftige Verbündete soll in die Geheimnisse meiner Gedankenwelt eingeweiht werden. Ich habe mir vorgenommen, das Lokal erst zu verlassen, wenn sie

• beim Leben ihrer noch nicht existenten Kinder geschworen hat, eine mögliche Mittäterschaft
niemals zuzugeben
• mir meinen Schwur abnimmt, dass meine Motive so ehrenhaft wie die eines Musketiers sind
• meine gekauften Utensilien ohne Murren annimmt und versichert, sie nach Plan zu verwenden
• meine Danke-Schweige-Schön-Zuckersticks als Mittel zum Zweck zu schätzen weiß

Blöde Vorsätze. Wenn man es in dem selbst angesetzten Zeitrahmen nämlich nicht schafft, den Fuß wieder vor die Lokaltür zu setzen, dann hat das Konsequenzen für den restlichen Tagesablauf. Termine fallen womöglich ins Wasser und Wermutstropfen bleiben hängen – nur einer profitiert: mein fusselig geredeter trockener Mund. Überzeugungs- statt Gedankenkraft ist zwar anstrengend, aber wirkungsvoll. Schließlich investiert man in sein potentielles Glück und reduziert ganz nebenbei noch ein bis zwei Verpflichtungen. Das allein zählt. Ich verlasse das Lokal. In dieser Phase der Euphorie erscheint vor meinem geistigen Auge das überraschte und fassungslose Gesicht meines morgigen Dates. Ich sehe schon seine anerkennenden Blicke, fühle bereits die Magie, die ihn vor Ehrfurcht erstarren lassen wird. Ja! Ich werde das Unmögliche möglich machen! Er wird mich in einem anderen Licht sehen – als strahlende Göttin, der er zu Füßen liegt, und die er unbedingt wieder sehen will… Zufrieden fahre ich heim. Was ist die Welt doch schön mit den richtigen Ideen zur richtigen Zeit!

Tags drauf beschließe ich, nicht allzu pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt zu erscheinen. Aus taktischen Gründen, versteht sich. Das Lokal ist brechend voll. Ich entdecke ihn an einem Tisch direkt hinter der Theke. Zwei amüsante Stunden folgen. Irgendwann sage ich: „Trinkst du auch einen Cappuccino mit?” und mit der Unerschütterlichkeit einer Frau, die von der Richtigkeit ihrer Idee überzeugt ist, füge ich lächelnd hinzu: “Was würdest du sagen, wenn der Milchschaum blau wäre, weil ich es mir in diesem Moment so wünsche – wärst du dann so beeindruckt von mir, dass du mich ein zweites Mal treffen willst?!“ Er grinst. „Wie wäre es mit grün?” Ich beharre logischerweise auf blau. Wir rufen die Kellnerin, die sich in keinster Weise verdächtig verhält, und geben unsere Bestellung für zwei Cappuccini mit blauem Milchschaum auf. Keine diskutierten sieben Minuten offenbaren sich uns zwei Himmel ohne Wolken. Ich triumphiere innerlich. Das geht runter wie Öl…

… ich höre keinen Aufschrei von ihm und blicke hoch. Und da sitzt er. Ein großer Haufen Bewunderung, dem die Worte fehlen. Er wirkt unbeeindruckt, aber diese Art von Starre kann mich nicht über die Gewissheit hinwegtäuschen, dass sein Zustand ein Ausdruck manifestierter Ehrfurcht ist.

Angenehm. Plötzlich outet er sich als Lebewesen, greift zur Tasse, trinkt etwas, und setzt seinen Café mit sanfter Bewegung wieder ab. An seiner Oberlippe bleibt ein mit blauer Lebensmittelfarbe angehauchter Milchrand zurück. „Das hast du abgesprochen“, verkündet er in einer Ruhe, die an pathologische Zustände grenzt. „Waaasss???! Wie das denn, bitte schön?!?? Und vor allem: wann denn?“ tue ich entrüstet. Dann nehme auch ich einen kräftigen Schluck – und lehne mich zurück. Wohlwissend, dass ich eine weitere gefühlte Ewigkeit lang den Zauber des Augenblicks in vollen blauen Zügen genießen kann.

Der Haken: auch Ewigkeiten haben ein Ende. Das erhoffte zweite Date – Fehlanzeige. Nicht, weil ich die Prinzipien der Gedankenkraft nicht verstanden hätte, sondern einfach, weil der Altersunterschied zu groß war.
The EnTe

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