Dienstag, März 19, 2024

Es tut dir alles weh, obwohl du dich nicht verletzt hast

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Es tut dir alles weh, obwohl du dich nicht verletzt hast

Maria Walz – einst Inbegriff der Traditionsgaststätte Papyrer in Fleck – ist das, was auf dem Teller der oberbayerischen Restaurant-Szene übrig geblieben ist. Eine Art Happen, den der Anstand verschont hat, als der Rest vom Buffet bereits leer gefegt wurde.

„Dürr bin ich geworden. Ich versuche, mit Gewalt zu essen.“ Ein flüchtiges Lächeln durchzieht die Mundwinkel von Maria Walz. Seit Ende Februar letzten Jahres ist sie im Lenggrieser Pflegeheim untergebracht und mit 80 Jahren eine der jüngsten dort. Während sie die letzten vierundvierzig Jahre im Papyrer diejenige war, die als Wirtin ihren Gästen das Essen servieren ließ, muss sie nun akzeptieren, dass sie auf die andere Seite des Tisches gewechselt hat – und man ihr die Mahlzeiten reicht. Kerzengerade thront sie in ihrem Fernsehsessel, die weißen Haare akkurat nach hinten gefönt. Der Blick frei für ein Gesicht, in dem das Leben Spuren hinterlassen hat. Spuren, die sich wie dünne spindlige Äste ihren Weg zum Hals bahnen, vorbei an mit roter Farbe überzogenen Lippen, die im Kontrast zur rosa Angorajacke stehen. Ihre gefärbten, gezupften Augenbrauen ziehen einen Halbkreis um ihre blauen Augen, der sich ruckartig nach oben zieht, als die im Bett liegende Zimmernachbarin durch ein paar röchelnde Laute auf sich aufmerksam macht. M. Walz schiebt den Zwetschgendatschi vor sich beiseite. „Wissen`s – alte Leit hob i früher net mögn, da bin ich ehrlich.“

Aufgewachsen als Wirtshaus-Tochter im Lenggrieser Hof entdeckte sie bereits in jungen Jahren Ihre Leidenschaft für die Gastronomie. Wenn sie ihren späteren Mann Karl nicht beim Skifahren kennengelernt hätte, wäre M. Walz sicherlich das Erbe ihrer Eltern angetreten. Stattdessen verließ sie das Elternhaus aufgrund familiärer Streitigkeiten. Bis dahin spielte sie fast ein Jahr lang unbemerkt Rapunzel und zog ihren Liebhaber an einem Leinentuch bis in den ersten Stock ihres Zimmers. „Mei, war des a scheene Zeit“, schwärmt sie. Aber nicht nur sie zog ihn nach oben, sondern auch er gab ihr Aufwind – mit Absatzschuhen, die er damals extra in Größe 42 für sie anfertigen ließ, und mit denen sie einmal pro Woche zu ihm nach München fuhr. Selbstverständlich aus Liebe zu ihm, nicht zu ihren Füßen. „Mein Mann hat mich geprägt – den habe ich geliebt,“ sagt sie mit fester Stimme. Andere Frauen liebten ihn auch. „Doch damals war ich so überheblich, dass ich dachte, der bleibt dir.“ Und sie behielt recht. Mit 33 Jahren, im Dezember 1967, kaufte sie zusammen mit ihm und dem gemeinsamen, damals fünfjährigen Sohn Andi eine ehemalige Wirtschaft in Fleck, der sie wegen der nahe gelegenen Papierfabrik den Namen Papyrer gab. Für ihren Mann zog sie sogar beim Arbeiten in der Küche ein Dirndl an und achtete peinlich genau darauf, dass sie „immer sauber beinand ist“, wie ihr Mann zu sagen pflegte.

(… Fortsetzung folgt)

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