Dienstag, März 19, 2024

Am Boden

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Am Boden

„Haste gehört? Larry und ein paar andere hat`s erwischt.“
„Wann?“
„Gestern.“
„War`s das Pulver?“

Mo nickte stumm. Wieder einer, der draufging, seit die Kampagne gestartet war. Dabei hatten sie sich erst kürzlich zu Hunderttausenden hier niedergelassen. Der Teppich war ihre neue Heimat – ein Kunstwerk aus handgewebten, sakralen Motiven, das fast den ganzen Raum ausfüllte. Hier konnten sie sich stundenlang zwischen den Fasern aufhalten, ohne etwas zu tun. Tagein tagaus warteten sie auf ihre Nahrung, die ihnen die Luft quasi vor die Münder wirbelte, und die sie dann mit einem Atemzug inhalierten. Viel brauchten sie nicht. Vielleicht noch etwas Feuchtigkeit – und Wärme. Alle diese Voraussetzungen erfüllte ihr Staubterrain.

Mo rieb sein fünftes Bein am sechsten und sah seinen Freund an. Er wusste, dass man sich vor ihnen ekelte – aber ausrotten?!

„Was sollen wir tun?“

“Ich habe ihre Gespräche belauscht. Der Ort, auf dem wir uns befinden, ist nicht mehr sicher. Sie faselten irgendwas von Fernsehen. Und das man uns vorher vernichten müsse, sonst könne man unsere Heimat nicht verkaufen. Ich sag` Dir, wir Bewohner sind in ihren Augen Kreaturen.”

„Und?“ Mo hoffte, sein Freund habe die erste Frage nicht deshalb ignoriert, weil er selbst keine Lösung hatte.

„Wenn es mit dem Pulver nicht funktioniert, werden sie uns mit einem Gerät schlucken, dessen Saugkraft jedem einzelnen von uns sämtliche Körperteile in Stücke reißen wird. Und das, bevor wir in einer Staubhöhle aus Leichenteilen landen.“

„Hör auf!“ Aus dem Orientteppich im Nachbarzimmer hörte Mo ein lautes Schluchzen. Er musste sie retten. Alle. Das wusste er jetzt. Heute Nacht würde er sie zusammentrommeln, mit ihnen eine neue Heimat suchen, sie von hier weg…

Es klingelte. Es war nicht der Typ mit seiner leicht gebeugten Haltung, der Mo Angst einflößte. Es war das Ding, das er in seiner rechten Hand hielt. Ohne ein Wort zog der Typ an dem Schlauch, der dem Ding aus dem Hinterteil quoll. Als er das Ende in die Hand nahm und in die zwei Löcher an der Wand steckte, wusste Mo bereits, dass sein Plan vergebens war.

Das Geräusch übertönte – nur für einen kurzen Moment – seine Gedanken. Dann gab es ein kurzes Schlürfen, und sie wurden für immer ausgelöscht. Niemand beobachtete, wie der Teppich an einer Ecke hochgehoben und der restliche Schmutz abgelegt wurde, bevor die Fläche unter der Last langsam wieder zu Boden sank.

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