Mittwoch, April 24, 2024

„Das ist keine Theateraufführung, sondern eine ernste Angelegenheit”

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„Das ist keine Theateraufführung, sondern eine ernste Angelegenheit”

Gustl Mollath ./. Bayern

Worte, mit denen der Vorsitzende Richter des Landgerichts München I am 20. März 2019 die Zuschauer gleich zu Beginn der Verhandlung zur Räson bringen will. In Scharen waren sie in den Sitzungssaal gekommen. Vor ihnen sitzt eines der bekanntesten Justizopfer Deutschlands: Gustl Ferdinand Mollath. Vom Staat für verrückt erklärt, verbrachte er mehr als sieben Jahre zu Unrecht in der geschlossenen Psychiatrie. Für das Leid, das man ihm angetan hat, will der heute 62-Jährige eine finanzielle Entschädigung in Millionenhöhe. Vom Versuch,  ein Leben zurückzukaufen.  

Gustl Mollath will Gerechtigkeit. Einen angemessenen Ausgleich für die Zeit, die er zwangsweise in der geschlossenen Psychiatrie verbringen musste. „Es ist ein wirkliches Wunder, das ich nach all den unglaublichen Dingen, die mir passiert sind, nicht wahnsinnig geworden bin“, sagt ein Mann, dem man genau das unterstellt hatte: unter Wahnvorstellungen zu leiden. Der heute 61-Jährige fordert für seine verlorenen Jahre in Haft 1,8 Millionen Euro Schmerzensgeld vom Freistaat.

Siebeneinhalb Jahre hatte man ihn ein- beziehungsweise weggesperrt. Vor Gericht gab er nur einen kurzen Abriss dessen, was er in dieser Zeit erlebt hat. Ärzte hätten ihn immer wieder „abgespritzt“, nahezu stündlich habe man ihn in der Nacht geweckt und seine Zelle durchleuchtet. Diese sogenannten „Patientenzimmer-Kontrollen“ haben bei Mollath Spuren hinterlassen. Bis heute könne er nicht durchschlafen, sagt er.

Für diese jahrelange Qual will er Geld vom Freistaat sehen. „Wenn wir keine gütliche Einigung finden, kann ich alle Einzelheiten aufführen, die ich in der Zelle erlebt habe“, erklärt Mollath dem Richter. Er spricht seine Drohung sachlich und ruhig aus, ohne körperliche Regung oder Aggressivität in der Stimme. Einzig sein roter Schlips wirkt bei diesen Worten wie eine herabhängende Warnung, die beim Aufkeimen des kleinsten, nochmaligen Unrechts sofort hochpeitscht.

Mollath sitzt zwischen seinem Anwalt und seinem persönlichen Berater. Seit mehr als einer Stunde haben sie schweigend den Ausführungen des Richters zugehört. Mollath hatte dem bayerischen Staatsministerium vorgeworfen, Schwarzgeldverschiebungen gedeckt zu haben, an denen auch seine inzwischen verstorbene Ex-Frau beteiligt war. Nach angeblichen Gewaltattacken gegen seine Ex-Frau hatten ihn die Richter als unzurechnungsfähig und gemeingefährlich eingestuft. Mollath, der Querulant. Den Verdienstausfall, den Mollath durch die Unterbringung in der Psychiatrie in Kauf nehmen musste, will er bezahlt haben. 3.200 Euro pro Monat setzt er als erfahrener Maschinenbauer an. Bei siebeneinhalb Jahren oder 90 Monaten Ausfall macht das summa summarum 288.000 Euro.

Für die entgangene Rentenversicherung fordert Mollath 91.200 Euro. Den Verlust seines Hauses in Nürnberg, das Mollaths inzwischen verstorbene Frau noch zu Lebzeiten versteigerte, beziffert er mit 338.000 Euro. Außerdem macht er den Verlust von Dokumenten, alten Ferrari-Fahrzeugen und seiner Werkstatt ebenso geltend wie ein Schmerzensgeld in Höhe von etwa 800.000 Euro. 70.000 Euro hatte ihm der Freistaat bislang gezahlt. Eine weitere Entschädigungszahlung in Höhe von 100.000 Euro hatte Mollath im Vorfeld der Verhandlung abgelehnt, weil diese Summe seinen materiellen und immateriellen Schaden “keinesfalls abdeckt”, wie er sagt.

Nach eingehender Prüfung des Sachverhalts sei das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, fährt der Vorsitzende Richter fort, „dass die Verhandlungen nicht mit der gebotenen Sorgfalt geführt wurden“. Eher sei der Vorsitzende Richter in Nürnberg damals bemüht gewesen, das Verfahren schnell zu beenden. Das Urteil sei durch „eine Vielzahl von Verfahrensfehlern“ zustande gekommen, die in der Revision hätten geprüft werden müssen.

Zweimal sei Mollath zwangsweise zur Untersuchung eingewiesen worden. An dieser Unterbringung habe das Gericht Zweifel, so der Vorsitzende Richter. Zudem sei das Urteil mit nur zwei anstatt mit drei Berufsrichtern gefällt worden. „Diese fehlerhafte Besetzung der Kammer hätte gerügt werden müssen.“ Aus diesem Grund tendiere man dazu, dass Urteil als „rechtswidrig im Sinne der Menschenrechtskonvention“ anzusehen. Ob diese „Fehler“ dafür allerdings ausreichen, müsse geprüft werden. Fraglich sei, ob überhaupt Schadenersatz geltend gemacht werden könne, so der Richter.

“Ich sehe Probleme mit der Causalität – ob sich dadurch am Urteil der 7. Strafkammer etwas geändert hätte.”

Vorstellbar wäre eventuell eine immaterielle Entschädigung, so der Richter weiter. Für Schadenersatz aufgrund der Unterbringung in der forensischen Klinik sei allerdings nicht der Freistaat zuständig, sondern die Bezirke. Schwierigkeiten hatte der Richter, den finanziellen Forderungen von Mollath hinsichtlich seiner Reparaturwerkstatt und seines Hauses zu folgen. „Die Tatsache allein, dass Sie ein begnadeter Restaurator waren, reicht nicht aus für Schadenersatz.“ Und sein Haus sei ja ohnehin zwangsversteigert worden.

Mollaths Verteidiger  Hildebrecht Braun lobt daraufhin zunächst das Bemühen des Gerichts, das im Vorfeld versucht hatte, eine Einigung zu erzielen. Dann wird er lauter: „Mein Mandant saß siebeneinhalb Jahre zu Unrecht in der Psychiatrie. Alle Welt soll wissen, dass in diesem Fall Fehler gemacht wurden. Es war die Gemeinschaftsarbeit von vier Ministerien! Hier wurde ein Mensch unter unerträglichen Bedingungen kaputt gemacht!“

Und das nur, weil sein Mandant „die Frechheit besessen hat, zu behaupten, der Freistaat sei an den Schwarzgeldverschiebungen beteiligt.“ Dieser, so der Verteidiger, sei nun „zum Ersatz des Schadens des Geschädigten Mollaths verpflichtet“. 25 Euro pro Tag seien dafür „eine Schande“. „Wer wäre bereit, sich das, was Mollath in der Psychiatrie erlebt hat, für 25 Euro anzutun?“ Und er betont:

„Herr Mollath kommt nicht als Bittsteller. Er will sein Recht.“

Klatschen im  Saal. Der Vorsitzende Richter mahnt zur „Ruhe im Gerichtssaal“. Warum“, so fragt indes der Verteidiger weiter, „findet sich bei der heutigen Verhandlung nicht ein Minister, der sich für die Fehler der Justiz entschuldigt? Mein Mandant wurde ohne jede Hilfe aus der Psychiatrie entlassen.“ Kein Sozialarbeiter habe ihm in dieser Zeit zur Seite gestanden.

Michael Then, Rechtsanwalt des Freistaats Bayern, hingegen argumentiert, Mollath hätte seine Ansprüche – laut Strafrechtsentschädigungsgesetz – innerhalb von sechs Monaten geltend machen müssen. Obwohl diese Frist längst abgelaufen war, hätte man ihm trotzdem 70.000 Euro gezahlt. „Eine andere Zahlung sei nicht vertretbar und sprenge jegliche Vergleichsfälle für immatrielle Schäden.“

Weil der Vertreter des Freistaats nicht so gut zu verstehen ist,  ruft einer dazwischen: „Lauter!“ „Wollen Sie den Gerichtssaal verlassen?“ ertönt es vom Richterpult. „Wir sind die Öffentlichkeit. Wir sind die Steuerzahler“, bekommt er zur Antwort. Nichtsdestotrotz sei man in Gespräche mit Herrn Mollath eingestiegen und gewillt, eine Einigung zu erzielen, fährt Michael Then unbeeindruckt fort. Er verweist darauf, dass Gustl Mollath in den Jahren 2000 bis 2006 wegen seiner Geschäftsaufgabe kein Einkommen hatte. „Deswegen sind wir auch in vielen Punkten auseinander.“

Sein Mandant habe einen erfolgreichen Betrieb geführt, kontert Mollaths Verteidiger. Wenn die Recherchen des Gerichts jetzt ergeben hätten, er sei „ein Penner gewesen, der nichts gearbeitet hat“, sei das schlichtweg falsch. Zum Zeitpunkt der Inhaftierung habe er in seinem Eigentum mehrere teure Autos besessen. „Sowas hat man nur auf dem Hof stehen, wenn man erfolgreich ist.“ Doch „wie durch ein Wunder“ seien diese auf einmal verschwunden, weist der Verteidiger auf

Man wolle die Rechtslage prüfen, sagt der Vorsitzende Richter abschließend, da eine gütliche Einigung der Prozessparteien heute nicht möglich sei. Mollath und das Justizministerium werden sich schriftlich weiter auseinandersetzen. Ein neuer Termin für eine öffentliche Verhandlung wurde nicht angesetzt.

Mollaths Weg in die Psychiatrie:

Im Jahr 2000 muss Gustl Mollath seine Nürnberger Werkstatt, in der er alte Autos restauriert, aufgrund ausbleibender Gewinne aufgeben. Laut späterer Aussage seiner Frau saß er nach der Schließung seines Geschäfts immer öfter vor dem Fernseher und litt zunehmend unter „Wahnvorstellungen“. Seiner Frau und ihrem ehemaligen Arbeitgeber – der Hypo-Vereinsbank – warf Mollath vor, bei riesigen Schwarzgeschäften von Geldverschiebungen in die Schweiz“ beteiligt gewesen zu sein. Es ist Mollath, der Strafanzeige gegen seine Frau und weitere Mitarbeiter der Bank stellt. Ihnen wirft er Steuerhinterziehung und Schwarzgeldschiebereien in Millionenhöhe vor. Erst zwölf Jahre später bestätigt ein interner Revisionsbericht der Bank einen Teil dieser Vorwürfe.

Im August 2001 soll Gustl Mollath mit mindestens 20 Fausthieben auf seine damalige Ehefrau eingeschlagen, sie getreten, in den Arm gebissen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Im Mai 2002 zieht die Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung aus. Als sie ihre persönlichen Sachen holen will, soll Mollath sich ihr gegenüber erneut aggressiv verhalten und sie eineinhalb Stunden in der Wohnung festgehalten haben. Im November 2002 erstattet sie Anzeige wegen Körperverletzung. Daraufhin erhebt die Staatsanwaltschaft am 23. Mai 2003 Anklage wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Mollath ist davon überzeugt, dass seine Ex-Frau und die Justiz ihn mundtot machen wollen.

Die Richter sprechen ihn zwar wegen Schuldunfähigkeit frei, halten ihn allerdings für gemeingefährlich und erklären ihn für verrückt. Weil Mollath sich weigert, die vom Gericht festgesetzten Termine zur psychiatrischen Begutachtung wahrzunehmen, orientieren sich die Richter an den Gutachten, die einige Psychiater erstellt hatten, ohne mit Mollath jemals ausführlich gesprochen zu haben. Als Mollath aus dem Rechtsstaat austreten und seinen Pflichtverteidiger seines Amtes entbinden will, lehnt das Gericht ab.

Ab 27. Februar 2006 sitzt Gustl Mollath in Haft. Am 6. August 2013 kommt er nach etlichen Beschwerden und einem aufsehenerregenden Wiederaufnahmeverfahren vor der Strafkammer des Landgerichts Regensburg wieder auf freien Fuß.

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